v.l.n.r.: Heinrich IV., Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II. – drei deutsche Kaiser, deren Wirken Geschichte schrieb und deren Mythos bis heute nachhallt.
Deutsche Kaiser und deutsche Ideale
Eine Betrachtung kaiserlichen Wirkens und ihres Nachhalls bis in die Gegenwart.
Die Spuren der langen und kulturell reichen deutschen Geschichte sind nicht nur in Deutschland sichtbar, sie reichen bis Norditalien und gar weiter bis nach Sizilien. Und das, obwohl Jahrhunderte vergangen sind, seitdem drei deutsche Kaiser ihr jeweiliges Erbe den Deutschen und den Europäern hinterlassen haben. Wichtig: Ihr erfolgreiches politisches, wissenschaftliches und kulturelles Wirken ist prägend für die deutsche Kultur und verantwortlich für die Entstehung der deutschen Mythologie und unseres Selbstverständnisses.
Die drei Kaiser – Heinrich IV., Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II. – wurden in der deutschen Romantik nicht nur als historische Figuren erinnert, sondern oft als Projektionsflächen für tiefe Sehnsüchte: nach Ordnung, Größe, Sinn und nationaler Einheit. Vor allem Friedrich Barbarossa und Friedrich II. beeinflussten die bildenden Künste in der Phase der deutschen Romanik nachhaltig. wirkten stark auf die Literatur, Malerei und politisch-kulturelle Imagination der Romantik ein.
Der romantische Kaisermythos geht zurück auf Friedrich Barbarossa.
Die deutsche Romantik war nicht nur eine Epoche der Gefühle, sondern auch eine Zeit, in der Geschichte neu erinnert und oft verklärt wurde. Zwischen Ruinenwanderung und Gedichtband erwachten auch die alten Kaiser zu neuem Leben – als Symbole, Projektionsflächen, Sehnsuchtsfiguren. Besonders Friedrich Barbarossa und Friedrich II. prägten das romantische Imaginäre – der eine als mythischer Retter, der andere als visionärer Geist.
Barbarossa, der schlafende Kaiser im Kyffhäuser, wurde zur romantischen Ikone schlechthin. Der Barbarossa-Mythos wurde im 19. Jahrhundert zum Zentrum romantischer Kaisersehnsucht. Sein Schlaf im Kyffhäuser und die Hoffnung auf seine Rückkehr in der Stunde größter Not fanden Ausdruck in Gedichten und Volksliedern. Kein anderer deutscher Herrscher wurde so oft besungen – und so tief in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Friedrich Rückert fasste es in einfache Verse, die ein ganzes Jahrhundert prägten:
„Der alte Barbarossa,
der Kaiser Friedrich,
im unterirdischen Schlosse
hält er verzaubert sich.“
Die Idee: Er schläft – mit seinem roten Bart, der durch den Marmortisch wächst – bis zu jenem Tag, da das Reich ihn wieder braucht. Ein Märchen? Ja. Aber eines, das 1848er und 1871er Träume: Einheit, Ordnung, Größe. Die Malerei der Zeit griff das Motiv auf – Fels, Dämmerung, ein einsamer Reiter vor einem Höhleneingang. Mythos trifft Landschaft, Politik wird Poesie.
Auch Friedrich II., der Staufer, sprach die Romantiker an – nicht als schlafender Held, sondern als hellwacher Geist. Orientalisch gebildet, feinsinnig, rebellisch gegen Rom. In ihm sah man nicht nur einen mittelalterlichen Herrscher, sondern den frühen Europäer, den Brückenbauer zwischen Kulturen. In der Dichtung wurde er zum Gegenbild des fanatischen Kreuzfahrers: ein Falke auf der Hand, ein Gelehrter im Gespräch mit Muslimen und Juden. Der Romantiker Novalis nannte ihn sinnbildlich den „Kaiser des Lichts“ – ein Titel, der mehr mit Idee als mit Biografie zu tun hat.
Und Heinrich IV.? Er blieb in der überlieferten Geschichtsschreibung der Tragische. Der König, der barfuß nach Canossa ging – und der die Kälte des Schnees nicht nur physisch, sondern auch in seiner Seele spürte. Die Romantik liebte solche gebrochene Gestalten. Heinrich war kein Retter, kein Licht, kein Mythos – sondern ein Mensch im Konflikt mit sich und der Welt. Auch das war romantisch: zu zeigen, wie Macht an Gnade zerbricht.
An die drei Kaiser wird in Gedichten, Gemälden und Liedern nicht bloß erinnert – sie wurden neu erfunden. Ihre historischen Gewänder bekamen romantische Schatten. Und wer heute reist – durch Speyer, Kyffhäuser oder nach Apulien –, der bewegt sich nicht nur durch Orte. Er wandert durch einen historischen Komplex aus Geschichte, Gefühl und Fantasie, der bis heute erhalten geblieben ist. Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, ist sicherlich derjenige, der am wirkmächtigsten nachhallt. Doch auch sein Enkel, Kaiser Friedrich II., hat als Nachfolger des scheinbar unglücklich agierenden Kaiser Heinrich IV. seine Spuren nicht nur in Werken und Bauten, sondern auch in unseren Herzen hinterlassen.
Alle drei Kaiser sind für das, was uns Deutsche im Herzen und in der Seele ausmacht, bis heute prägend. Diese Spuren reichen tief. Sie leben in unserer Sprache, in der Musik, in der Architektur, in der Philosophie – in jener geistigen Kraft, die das Deutsche einst zum „Land der Dichter und Denker“ machte.
Diese Kraft aber wird heute systematisch vergraben unter der uniformen Schicht einer Moderne, die alles Tiefe, Ernsthafte und Schöne als verdächtig erklärt. Statt Geist regiert der Markt, statt Ideal das Ich, statt Kultur der Konsum. Der Mensch soll nicht denken, sondern funktionieren – nicht streben, sondern genießen. Doch ein Volk, das nur noch kauft, klickt und kuschelt, verliert sich selbst.
Und doch: Diese Kräfte – so sehr sie auch überlagert werden – sind nicht verschwunden. Was einst selbstverständlich war, muss heute mühsam wiederentdeckt werden. Heute können nur noch wenige Zeitgenossen mit den drei Kaisern wirklich etwas anfangen.
Ihre Denkmäler und Wirkungsorte sind geblieben – sie laden ein zum Innehalten, zum Nachdenken, zum Staunen. Und manches wirkt, ohne sichtbar zu sein – in unserer geistigen Erkenntniswelt, in der Sprache, in unserer reichen Kultur, in unserem unbändigen Charakter, der Frieden und Einheit will, in unserem Willen zur Selbstbehauptung, in der Art, wie wir leben.
Das alles ist nur überlagert durch eine bleierne Schwere der Moderne, die fallen wird, wenn Barbarossa aus dem Kyffhäuser aufersteht.
Vielleicht ist diese Rückkehr nicht wörtlich zu nehmen – aber sie meint etwas Reales: das Erwachen eines Volkes, das sich wieder auf seine Tiefe besinnt. Auf das Maß, das Ideal, das Verbindende. Nicht als Flucht in die Vergangenheit, sondern als Aufbruch zu sich selbst.
Der schlafende Kaiser – Barbarossa und die deutsche Einheit im Spiegel der Erinnerung
Wer auf Sommerreise geht, indem er auf den Spuren unserer Ahnen wandert, durchstreift die Landschaften, ohne zu ahnen, was unter ihren Hügeln ruht. So ist es auch mit dem Kyffhäuser – jenem sagenumwobenen Gebirge im nördlichen Thüringen, das wie kein zweiter Ort für die verdrängte deutsche Sehnsucht nach Ordnung, Tiefe und Zusammenhalt steht. Denn hier soll er ruhen: Friedrich I., genannt Barbarossa, der mittelalterliche Kaiser, der nie wirklich ging – sondern nur schläft.
Historisch betrachtet regierte Barbarossa von 1152 bis 1190 und war einer der letzten Herrscher, der das mittelalterliche Reich nicht nur verwaltete, sondern als Idee verkörperte. Dies schreibt Knut Görich in seinem Buch Friedrich Barbarossa. Eine Biografie, München 2011. Er reiste unermüdlich durch das Reich, suchte den Ausgleich mit den Fürsten, kämpfte gegen päpstliche Übergriffe und verstand sich als Nachfolger Karls des Großen – nicht in dynastischer, sondern in geistiger Hinsicht. Sein Reich war zersplittert, doch er hielt es zusammen durch Symbolik, Recht und den Anspruch, eine Ordnung über die Gegensätze hinweg zu stiften.
Er starb tragisch 1190 auf einem Kreuzzug, weit entfernt vom Reich, in einem Fluss in Kleinasien (heute Türkei). Und genau hier beginnt die zweite Geschichte – die Mythos-Geschichte, niedergeschrieben von Heinrich Heine, Friedrich Rückert und anderen, in: Des Knaben Wunderhorn, 1806–1808. An Friedrich wird nicht bloß als verstorbener Kaiser erinnert, sondern an jemanden, der ruht … Die mittelalterliche Sage erzählt: Er sitze im Inneren des Kyffhäuser, an einem steinernen Tisch, sein roter Bart wachse durch den Fels. Ein Rabe kreise um den Gipfel – und wenn er dreimal nicht mehr fliege, erwache der Kaiser, um das Reich zu retten.
Diese Vorstellung gewann im 19. Jahrhundert neue Bedeutung – zu einer Zeit, in der das zerrissene Deutschland nach Einheit dürstete. Die Romantik hatte die alten Gestalten neu entdeckt, aber mit Barbarossa geschah mehr: Er wurde zur politischen Chiffre. 1848, im Scheitern der Paulskirche, und erst recht 1871, mit der Reichsgründung in Versailles, tauchte seine Gestalt als geistiger Ahnherr des neuen Kaiserreichs wieder auf. Lutz Raphael thematisiert das in Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme, München 2003, S. 92 f. Nicht zufällig wurde 1896 das gewaltige Kyffhäuserdenkmal eingeweiht – mit einem Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. über einer Statue des schlafenden Barbarossa. Die Botschaft: Die Geschichte ist erfüllt, der Kaiser wacht wieder, die Einheit ist da – zumindest für einen Moment.
Barbarossa formte den Wunsch nach Einheit, Maß, Ordnung jenseits des Partikularismus
Doch der Mythos wirkte tiefer. Denn das, was man Barbarossa zuschrieb – Einheit, Maß, Ordnung jenseits des Partikularismus –, blieb ein inneres Sehnsuchtsbild. Besonders in Zeiten, in denen die moderne Gesellschaft als zerfasert und entseelt erschien, wurde der „schlafende Kaiser“ zur stillen Gegenfigur zur Gegenwart. Der Philosoph Othmar Spann sprach in den 1920ern vom „organischen Reich“, das in der Figur Barbarossas seinen Ursprung habe – nicht als politische Realität, sondern als Idee jenseits der Moderne. Nachzulesen in seinem Buch Der wahre Staat, Leipzig 1921.
Und auch heute ist etwas von dieser Gestalt geblieben. Wenn man durch das Kyffhäuserland reist, den Blick über das Land schweifen lässt und die barthaarige Statue unter dem wilhelminischen Kaiser entdeckt, versteht man: Barbarossa ist ein Gedächtnis- und Pilgerort. Kein bloßes Monument, sondern ein Symbol für eine mögliche Ganzheit, die immer wieder verloren geht – und doch nie ganz stirbt.
Vielleicht liegt darin auch die tiefere Bedeutung jener Passage, die diesen Artikel einrahmt: „Sie leben in unserer geistigen Erkenntniswelt fort – in der Sprache, in unserer reichen Kultur, in unserem unbändigen Charakter, unserem Willen zur Selbstbehauptung, in der Art, wie wir leben. Das alles ist nur überlagert durch eine bleierne Schwere der Moderne, die fallen wird, wenn Barbarossa aus dem Kyffhäuser aufersteht.“
Es ist keine politische Hoffnung. Es ist ein Erinnerungs- und Zukunftsimpuls: Die Einheit, von der hier die Rede ist, ist nicht die einer Flagge oder Verfassung. Es ist die Einheit der Tiefe – die eines Volkes, das durch Jahrhunderte hindurch seine eigene Form gesucht hat. Barbarossa ist ihr stiller Wächter. Und manchmal genügt es, ihm zuzuhören – in den Bergen, in den Liedern, in uns selbst.
Wer in diesen Sommerwochen reist, wandert nicht nur durch Landschaften. Er durchstreift auch Erinnerungsräume. Orte, die mehr sind als Kulissen einer Vergangenheit – sie erzählen von Herrschaft, von Konflikt, von Mythos. Und sie zeigen, wie tief die deutsche Geschichte in den europäischen Raum eingeschrieben ist. Europa ist ohne sie nicht denkbar.
Heinrich IV. – Der widerwillig Knieende, der dem Papsttum trotzte und den Preis dafür zahlte
Der Name Heinrich IV. ist untrennbar mit einem ikonischen Bild verbunden: Der König, barfuß im Schnee, vor den Toren Canossas. Es ist das Jahr 1077. Drei Tage lang. Wartend. Zitternd vor Kälte – und vor Erniedrigung. Dieses Bild wurde zur Chiffre für die Macht der Kirche und die Ohnmacht weltlicher Herrschaft. Für das Drama eines Mannes, der nie Herr seiner Lage war – und der sich dennoch gegen die übermächtige Institution Rom auflehnte.
Heinrich war von Anfang an ein Getriebener. Schon als Kind wurde er zum König erhoben, mit sechs Jahren – ein Spielball in der Hand kirchentreuer Großer und misstrauischer Fürsten, die ihn eher als Übergangsfigur denn als künftigen Kaiser betrachteten. In dieser fragilen Gemengelage wuchs Heinrich auf: misstrauisch, klug, impulsiv. Er kämpfte von Jugend an gegen übermächtige Gegner – und gegen das Bild, das andere von ihm zeichneten.
Der sogenannte Investiturstreit, der sein Leben und seine Herrschaft über Jahrzehnte bestimmen sollte, war dabei mehr als ein theologisches Detail. Es war ein epochaler Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Ordnung: Wer hat das Recht, Bischöfe zu ernennen – der Kaiser oder der Papst? In einer Zeit, in der geistliches Amt auch politische Macht bedeutete, war diese Frage keine Nebensache. Sie war existenziell. Für Heinrich. Für die Kirche. Für Europa.
Gregor VII., der Papst, gegen den Heinrich sich auflehnte, war ein Reformer – und ein Machtpolitiker. Er beanspruchte die Oberhoheit über alle Könige, insbesondere über den König von Deutschland. Heinrich jedoch widersprach. Und wurde daraufhin vom Papst exkommuniziert – ein Akt, der nicht nur seine persönliche Würde, sondern auch seine politische Legitimation zerstörte. Die Fürsten des Reiches begannen sich von ihm abzuwenden.
In dieser Lage trat Heinrich die berühmte Reise nach Canossa an. Ein diplomatischer Akt – und eine menschliche Demütigung. Gregor VII. hielt ihn drei Tage im Schnee vor der Burg warten, bevor er ihn wieder in die Kirche aufnahm. Doch es war keine Versöhnung. Es war ein Waffenstillstand auf Zeit. Heinrich hatte gewonnen – den Moment. Doch verloren war das Vertrauen in seine Souveränität.
Wer heute den Kaiserdom zu Speyer besucht, begegnet Heinrich IV. nicht durch Pracht, sondern durch Stille. Sein Grab liegt in der Krypta – schlicht, fast unauffällig. Kein protziger Sarkophag, kein Pomp. Und doch eine Schwere, die man fast körperlich spürt. Hier liegt ein Kaiser, zerrieben zwischen Welt und Kirche, zwischen Ehrgeiz und Scham, zwischen Aufbegehren und Buße.
Auch Canossa, ein kleiner Ort in der Emilia-Romagna, ist heute eher eine Ruine als ein Pilgerziel. Und doch liegt über dieser Landschaft eine Aura. Die sanften Hügel, die Weite des Himmels – all das wirkt wie eine Bühne, auf der sich ein historisches Drama vollzog, das bis heute in unser kollektives Gedächtnis eingeschrieben ist.
Doch Heinrichs Geschichte endete nicht im Schnee. Er rächte sich. Jahre später marschierte er mit Heeresmacht nach Italien, setzte einen Gegenpapst ein und vertrieb Gregor VII. aus Rom. Der Papst, der ihn einst demütigte, starb 1085 im Exil in Salerno – isoliert und politisch geschlagen. Heinrich hatte gesiegt. Doch es war ein Pyrrhussieg. Das Reich blieb gespalten. Der Konflikt mit dem Papsttum schwelte weiter – und zerrüttete auch das Verhältnis zu seinem Sohn, Heinrich V., der sich gegen den Vater wandte.
Heinrich IV. inspirierte Richard Wagner zu „Parsifal“
Heinrich IV. war der erste der großen römisch-deutschen Kaiser, der sich offen mit dem Papsttum anlegte – und dabei fast alles verlor. Sein Leben wurde zur Tragödie. Und doch war sein Kampf der Beginn einer Entwicklung, die das Heilige Römische Reich prägen sollte: das ständige Ringen um die Frage, wer das letzte Wort hat – der Kaiser oder der Papst, der Staat oder die Kirche, der Souverän oder das Gewissen.
Diese Spannung wurde in der deutschen Romantik neu interpretiert. In Heinrich sah man nicht nur den Leidenden, sondern auch den modernen Menschen: zerrissen, zweifelnd, aufbegehrend gegen eine höhere Ordnung – und gerade dadurch von tragischer Größe. Friedrich Rückert widmete Heinrich IV. ein Gedicht, das ihn als „Geknickten, nicht Gebrochenen“ zeichnet. Und auch Richard Wagner – wenngleich eher indirekt – griff in seinem Werk Parsifal das Motiv des Sünders und Erlösers auf, das sich an Heinrichs Geschichte anlehnen lässt.
Heinrich IV. wurde zum Archetyp des widerständigen Geistes, der sich nicht unterordnet – auch wenn er dafür den Preis zahlt. Eine Gestalt, die im 19. Jahrhundert vielfach in Denkmälern geehrt wurde, etwa im Kaiserpfalz-Museum in Goslar, wo Heinrich als legitimer Herrscher in Szene gesetzt wird – im Kontrast zur päpstlichen Anmaßung.
Und so wirkt Heinrichs Geschichte bis heute fort. Nicht nur als Episode des Mittelalters, sondern als Gleichnis für den ewigen Konflikt zwischen Macht und Moral, Ordnung und Zweifel. In einer Zeit, in der politische Führung oft dem Zeitgeist hinterherläuft, wirkt Heinrichs unbeugsamer Wille – trotz seiner Brüche – fast wie ein Relikt aus einer tieferen, ernsthafteren Epoche.
Ein Kaiser, der nicht triumphierte – aber auch nicht kapitulierte. Ein König, der kniete – und dennoch aufstand. Und ein Mensch, der vielleicht deshalb in der Geschichte fortlebt, weil sein Ringen das unsere bleibt.
Friedrich II. – Der Lichtkaiser zwischen Orient und Okzident
Wenn Heinrich IV. das Fundament war und Friedrich Barbarossa die strahlende Mitte, dann war Friedrich II. der intellektuelle Horizont des mittelalterlichen Reiches. Ein Herrscher, der seiner Zeit voraus war – und der gerade deshalb wie ein Fremdkörper in der Geschichte des Abendlands erscheint. Als Enkel Barbarossas und Sohn der normannischen Königin Konstanze von Sizilien wurde er in Palermo geboren und verkörperte von Beginn an ein anderes Kaisertum: weniger germanisch, weniger römisch – dafür universal, wissenshungrig, weltoffen.
Der deutsche Historiker Ernst Kantorowicz widmete Friedrich II. eine ganze Monografie: Kaiser Friedrich der Zweite (Berlin, 1927). In ihr beschreibt er Friedrich als „stupor mundi“, das Staunen der Welt. Kantorowicz betont, dass Friedrich nicht nur das Reich regierte, sondern auch eine kulturelle Vision besaß, die „das geistige Leben des Abendlands mit dem Orient in Berührung brachte“. Diese einzigartige Rolle als Vermittler zwischen Welten hat sich tief in das kollektive Gedächtnis Europas eingeschrieben – auch wenn es heute überlagert ist von der banalen Logik politischer Korrektheit.
Ein mittelalterlicher Aufklärer, der nicht zu Extremen neigte.
Friedrich II. war kein bloßer Kriegsherr. Er war ein Herrscher, der las, dichtete, forschte – und seine Umgebung zu geistiger Blüte trieb. Die von ihm gegründete Universität von Neapel (1224) war nicht nur ein Zentrum des Rechts, sondern auch ein Ort der kritischen Auseinandersetzung mit griechischen und arabischen Texten. Friedrich korrespondierte mit muslimischen Gelehrten, ließ arabische Manuskripte übersetzen und verfasste selbst ein Werk über die Falkenjagd (De arte venandi cum avibus) – ein Buch, das nicht nur zoologisch, sondern auch philosophisch von Bedeutung ist.
Der Schriftsteller und Kulturkritiker Umberto Eco bezeichnete Friedrich II. in einem Interview mit Der Spiegel (Ausgabe 14/1999) als „eine Art mittelalterlicher Aufklärer, ein Vorgriff auf die Humanisten der Renaissance“. Diese Einordnung trifft den Kern: Friedrich II. war keine mythische Figur wie Barbarossa, sondern ein leibhaftiger, luzider Denker auf dem Thron, dessen Reformen – etwa im sizilianischen Rechtssystem – bis heute als frühmoderne Ansätze gelten. In seiner Herrschaft verschmolzen Ratio und Macht zu einer Form des Kaisertums, das den Deutschen – und insbesondere den Romantikern – ein ganz neues Ideal vor Augen stellte.
Die deutsche Romantik griff dieses Bild dankbar auf. In Friedrich II. sah man nicht nur einen „Kaiser des Lichts“, wie es sinnbildlich bei Novalis heißt, sondern auch ein Gegenbild zur barocken Prunksucht und der päpstlichen Engstirnigkeit, wie sie das Mittelalter oft geprägt hatte. Statt Kreuzzug und Dogma: Wissenschaft, Kultur, Austausch. Statt Unterwerfung: Verständigung mit den Muslimen. Friedrich II. schloss als einziger christlicher Herrscher den Sechsten Kreuzzug (1228/29) ohne einen einzigen Schwertstreich ab. Er verhandelte mit dem Sultan von Kairo und sicherte christliche Zugänge zu Jerusalem per Vertrag. Das war keine Schwäche – das war strategische Klugheit und Zivilisation auf dem Höhepunkt.
In der deutschen Geistesgeschichte wurde Friedrich so zur Figur des „anderen Deutschlands“ – eines Deutschlands, das nicht durch Stahl und Blut vereint wurde, sondern durch Kultur, Verstand und Maß. Der Philosoph Hans Blumenberg schrieb in Lebenszeit und Weltzeit (Frankfurt a. M., 1986), Friedrich habe „der Idee von Universalität einen europäischen Ausdruck gegeben, der über die bloße Machtausübung hinausweist“. Diese Universalität wurde später ein Grundmotiv deutscher Denker – von Lessing über Goethe bis zu Thomas Mann, der in seiner Rede „Deutschland und die Deutschen“ (1945) die Spaltung zwischen Machtstaat und Kulturvolk als zentrales deutsches Dilemma bezeichnete.
Friedrich II. steht in diesem Spannungsfeld als Symbol einer verloren gegangenen Synthese. Er war mächtig – aber nicht brutal. Er war fromm – aber nicht fanatisch. Er war deutsch – aber kein Nationalist. Seine Herrschaft ist ein Beispiel für das, was Deutschland später immer wieder suchte: die Verbindung von Geist und Gestaltungskraft. Kein Wunder, dass viele Intellektuelle des 19. Jahrhunderts – darunter Jakob Burckhardt in seiner Kultur der Renaissance in Italien (1860) – Friedrich als „Vorläufer der Renaissance“ würdigten.
Und heute? Auch Friedrich II. ist, wie seine kaiserlichen Ahnen, überlagert von der bleiernen Schwere einer Moderne, die das Geistige marginalisiert. Der deutsche Geist, der in ihm zu voller Blüte kam, wird heute ersetzt durch eine oktroyierte Konsumkultur amerikanischer Prägung: hedonistisch, flach, kommerziell. Was bei Friedrich noch als Imperium der Kultur begann, endet heute in der Auflösung jeder Tiefe zugunsten digitaler Betäubung. Die mediale Gegenwart kennt Friedrich II. kaum – weil sie nicht denkt, sondern ablenkt.
Doch wer durch die Ruinen von Castel del Monte in Apulien geht – jenem achteckigen Bau, den Friedrich selbst plante, ohne Wehrtürme, dafür voller mathematischer Symbolik –, der spürt: Es gab eine andere deutsche Möglichkeit. Eine, die nicht auf Exportweltmeisterschaft, sondern auf Weltverständnis abzielte.
Friedrich II. war das Licht der Stauferzeit – nicht grell, sondern leuchtend. Und wer ihn heute verstehen will, muss die Augen öffnen für das, was hinter den Schlagzeilen liegt: ein Deutschland, das denken konnte, weil es fühlen durfte. Ein Kaiser, der mit dem Kopf regierte – und mit dem Herzen sprach.
Vom kaiserlichen Geist zur romantischen Tiefe – und der Verflachung durch die Moderne
Was aber bleibt von diesen Kaisern – in uns? Was wirkt von Heinrich IV. und Friedrich II. über die Geschichte hinaus in der Tiefe unserer Identität?
Es ist mehr als Machtgeschichte. Mehr als Politik. Es ist eine Prägung des Denkens, eine Verankerung des Geistes in der Geschichte. Beide Kaiser stehen – trotz ihrer Gegensätzlichkeit – für eine Art, die Welt zu sehen: als Ort geistiger Ordnung, moralischer Verantwortung, tiefer Fragen.
Heinrich IV., der erste moderne Herrscher, forderte die Vormacht der geistlichen Welt heraus und zwang Europa dazu, über Souveränität und Legitimität nachzudenken. Die Zwei-Schwerter-Lehre, wie sie später vom französischen Theologen Bernhard von Clairvaux und Papst Innozenz III. formuliert wurde, ist letztlich ein Eingeständnis dieses Machtkampfes: Dass es eben zwei Autoritäten gibt – geistliche und weltliche – und dass die weltliche Macht ihren Ort in der göttlichen Ordnung hat (vgl. Peter Landau, Die Zwei-Schwerter-Lehre des 12. Jahrhunderts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung, 1990). Die Demütigung von Canossa war kein Ende, sondern ein Anfang einer neuen politischen Philosophie in Europa – mit Heinrich als Katalysator.
Friedrich II., der „staunende Kaiser“, wie ihn Ernst Kantorowicz in seinem gleichnamigen Werk (Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927) nennt, stellte das Verhältnis von Religion, Wissen und Herrschaft in eine neue Ordnung. Sein sizilianisches Hofmodell, sein Toleranzedikt von 1220 und sein intellektueller Austausch mit muslimischen Philosophen machten ihn zum Gegenbild des mittelalterlichen Fanatikers. Der Historiker Wolfgang Stürner spricht von einem „Herrscher, der die Macht nicht als Selbstzweck, sondern als Aufgabe verstand – zur Gestaltung von Zivilisation“ (vgl. Friedrich II., Band 2, München 2000).
Gerade in der deutschen Romantik wurde dieses Erbe weitergetragen. Die Kaiser wurden zu Archetypen eines geistigen Deutschlands – eines Landes, das nicht durch Expansion oder Kolonialismus glänzte, sondern durch Musik, Dichtung, Philosophie. Ein Land, das seine Gründungssagen nicht auf Revolutionen oder Börsengänge stützte, sondern auf Epen, Ruinen und mittelalterliche Kathedralen.
Diese romantische Erinnerung war kein sentimentaler Rückgriff, sondern ein mentaler Tiefenspeicher, ein Reservoir kultureller Selbstvergewisserung. Heinrich als tragischer Held, Friedrich als aufgeklärter Monarch – beide wurden Projektionsflächen eines deutschen Geistes, der seit Herder, Hölderlin und Hegel auf das Ganze zielte: auf Wahrheit, Schönheit, Sinn (vgl. Manfred Frank, Unendliche Annäherung). Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Suhrkamp 1997).
Der Geist der drei Kaiser wirkt fort, wenn gleich er aktuell überlagert ist
Heute wirkt es, als sei dieser tiefe Strom überlagert – von einem Lärm, der nicht aus der Tiefe kommt, sondern aus der Oberfläche. Die sogenannte Moderne hat dem Menschen neue Freiheiten gebracht – aber auch neue Gefangenschaften. Konsum ersetzt Sinn, Egoismus ersetzt Gemeinschaft, Unterhaltung ersetzt Erkenntnis. Das Bild vom Menschen, das heute in Medien, Werbung und Politik dominiert, ist flach, instinktgetrieben, hedonistisch – ein psychologisches Reiz-Reaktions-System, getrieben vom nächsten Kick, der nächsten Belohnung.
Der deutsche Geist, wie ihn diese Kaiser in den Grund gelegt haben und wie ihn Dichter und Denker weitertrugen, ist heute verschüttet – unter einer oktroyierten amerikanisierten Massenzivilisation, die aus Hollywood und Silicon Valley über Europa schwappte wie eine Welle kultureller Uniformierung. Der Philosoph Günther Anders sprach bereits 1956 in seinem Werk Die Antiquiertheit des Menschen von der „Verflachung des Geistes durch die Technik“ – der Mensch, so Anders, werde nicht mehr durch Tiefe geprägt, sondern durch Reiz, Effekt und Steuerbarkeit.
Individualismus ohne Tiefe, Freiheit ohne Verantwortung, Meinung ohne Wissen. Die Erinnerung an Barbarossa, Heinrich oder Friedrich II. passt da nicht mehr hinein – sie ist zu groß, zu ernst, zu vielgestaltig.
Und doch lebt sie weiter. In denen, die sich nicht abspeisen lassen mit Trends und Tiktok-Videos, in denen, die noch spüren, dass Kultur mehr ist als Unterhaltung, die verstehen, dass wahre Politik nicht auf Umfragen schielt, sondern auf Ergebnisse für diejenigen, die sie beauftragt haben, das Land zu führen und zu gestalten. Der deutsche Geist ist nicht käuflich. Wer sich heute auf die Spuren der Kaiser begibt – nicht nur wandernd durch Deutschland, sondern auch geistig –, der findet nicht nur Geschichte, sondern eine Verbindung zur Tiefe, die uns Deutschen zu eigen ist. Man bekommt eine Ahnung davon, dass dieses Land einmal mehr war als Exportweltmeister: ein geistiges Zentrum Europas.
Der Kyffhäuser ist nicht nur ein Denkmal. Canossa ist nicht nur ein Ort. Castel del Monte ist nicht nur eine Burg. Sie alle sind Spiegel eines kaiserlichen Geistes, der das Universale dachte und glaubte.
Vielleicht liegt darin auch der Grund, warum man uns Deutsche über Jahrzehnte umerziehen wollte – nicht nur politisch, sondern auch geistig. Ein Volk, das durch Tiefe lebt, lässt sich schwerer manipulieren. Der Philosoph Othmar Spann schrieb 1921 in „Der wahre Staat“: „Ein Volk wird geistig arm, wenn es nur noch Funktion, aber nicht mehr Wesen kennt.“ Genau das erleben wir heute – doch es muss nicht so bleiben. Es wird Zeit, den Geist der deutschen Kaiser wieder freizulegen.
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Von : Stephan